Musik und Mathematik

1) Diatonische und temperierte Stimmung

Grundfrequenz

Zweiter Ton: Frequenzverhältnis: Eingabe von Hand:

Überlagerung beider Frequenzen

Prim und Oktave sind vollständig konsonant. Wenn man sich die Überlagerung ansieht, erkennt man warum dies so ist. Unser Gehirn sucht nach einfachen Strukturen und erkennt diese bei Prim und Oktave sofort, da hier sehr einfache Wiederholungen ersichtlich sind. Die Quint ist schon etwas komplexer, aber immer noch für das Gehirn einfach zu erkennen. Quart und Terz werden für unser Gehirn immer schwieriger erkennbar und sind daher zunehmend weniger konsonant. Bei der Sekund stellt unser Gehirn seine Mustererkennung weitgehend ein und sagt, dass dieser Zusammenklang zu kompliziert und daher dissonant ist. Beim irrationalen Frequenzverhältnis (√5+1)/2 findet unser Gehirn überhaupt kein verwertbares Muster und stuft diesen Klang als absolut dissonant ein. Unser Gehirn sucht nach möglichst einfachen ganzzahligen Frequenz-Verhältnissen und verabscheut irrationale Frequenz-Verhältnisse in denen kein Muster erkennbar ist.

Die Prim und die Oktave spielen eine zentrale Rolle. Unser Gehirn erkennt zwar den Unterschied von Oktaven, ordnet ihnen aber trotzdem denselben Ton zu. Ein reiner Ton ist daher die unendliche Äquivalenzklasse aller Frequenzen deren Verhältnis 2n:1 ist, mit n∈Z. Ein reiner Ton t der Frequenz f0 ist daher die Menge t = [f0] = {f|f=2n·f0 ,n∈Z} und f0 ist ein Repräsentant dieser Äquivalenzklasse.

Die nächsten sauberen Intervalle sind Quint mit dem Frequenzverhältnis 3:2, Quart mit dem Frequenzverhältnis 4:3 und Terz mit dem Frequenzverhältnis 5:4. Damit können wir die Frequenzen einer Tonleiter bereits teilweise einsetzen.

Ton c d e f g a h c
Frequenz f0 5/4·f0 4/3·f0 3/2·f0 2·f0
Faktor ·16/15 ·9/8

Wir müssen uns nun dem Problem der Sekund zuwenden. Der naheliegende Ansatz x·x = 5/4 würde zu x = √5/2 führen. Das Frequenzverhältnis wäre irrational und würde als extreme Dissonanz empfunden. Es bleibt also nur die Lösung einer rationalen Näherung. Wir versuchen den Ansatz p/(p-1)·(p+1)/p = 5/4. Wir können diese Gleichung zu (p+1)/(p-1) = 5/4 vereinfachen. Die Lösung ist rasch als p = 9 gefunden. Damit erhalten wir zwei verschiedene Sekunden, nämlich 9:8 und 10:9. Nun können wir bereits den Beginn unserer Tabelle ausfüllen.

Ton c d e f g a h c
Frequenz f0 9/8·f0 5/4·f0 4/3·f0 3/2·f0 2·f0
Faktor ·9/8 ·10/9 ·16/15 ·9/8

Nun können wir die Reihe der Sekunden im Wechsel fortsetzen und am Ende eine verminderte Sekund setzen. Damit erhalten wir die folgende vollständige Tabelle

Ton c d e f g a h c
Frequenz f0 9/8·f0 5/4·f0 4/3·f0 3/2·f0 5/3·f0 15/8·f0 2·f0
Faktor ·9/8 ·10/9 ·16/15 ·9/8 ·10/9 ·9/8 ·16/15

Diese Stimmung bezeichnet man als diatonische Stimmung. Ihr Vorteil ist die Reinheit der Stimmung in einer Tonart. In unserem Beispiel war es die Tonart C-Dur. Diese Reinheit wird aber bei anderen Tonarten zu einem echten Problem.

Stellen wir uns vor, wir wollen in der Tonart G-Dur spielen. Der erste Ton der Tonleiter wäre demnach 3/2·f0. Der zweite Ton dieser Tonleiter wäre nun 9/8·3/2·f0 = 27/16·f0. Dies unterscheidet sich aber von dem Ton a mit der Frequenz 5/3·f0. Der Unterschied beträgt zwar nur 2% aber unser Gehirn würde ein unpassendes Frequenzverhältnis feststellen und sein Missbehagen äußern. Der zweite Ton stimmt nicht. Entsprechend überlegt man sich sofort, dass kein Ton ausser der Oktav stimmt. Die diatonische Stimmung eines Instruments gestattet keinen Wechel der Tonart. Streicher und Bläser können durch Korrekturmaßnahmen (im Rahmen ihrer Möglichkeiten) in jeder Tonart eine reine diatonische Stimmung herstellen, Spieler eines Tasteninstruments mit fest vorgegebener Stimmung, haben dagegen keine Möglichkeit eines Ausgleichs.

Um auf Tasteninstrumenten alle Tonarten spielen zu können, entwickelte Andreas Werckmeister 1681 die wohl-temperierte Stimmung. Dabei wird die Oktav in 12 äquidistante Halbtöne aufgeteilt. Wenn wir das Frequenzverhältnis für einen äquidistanten Halbton mit x abkürzen, muss x12 = 2 gelten und damit ergibt sich x = 122.

Ton c d e f g a h c
Frequenz f0 x2·f0 x4·f0 x5·f0 x7·f0 x9·f0 x11·f0 2·f0
Faktor ·x2 ·x2 ·x ·x2 ·x2 ·x2 ·x

Wir vergleichen nun die beiden Stimmungen

Ton c d e f g a h c
diatonisch 1.000·f0 1.125·f0 1.250·f0 1.333·f0 1.500·f0 1.667·f0 1.875·f0 2.000·f0
temperiert 1.000·f0 1.122·f0 1.260·f0 1.335·f0 1.498·f0 1.682·f0 1.888·f0 2.000·f0

Es fällt auf, dass die reine Quint in der temperierten Stimmung nur knapp verfehlt wird, was dem Gehör als Schwebung zwar auffällt, aber als warmes Vibrato missinterpretiert wird und daher nicht als störend empfunden wird. Bei Terz und Sext sind die Abweichungen aber relativ groß. Da ihre Überlagerungsmuster bereits relativ komplex sind und unserem Gehirn als kurz vor der Dissonanz erscheinen, nimmt es keinen Anstoß daran und akzeptiert auch diese Klänge in beiden Stimmungen als in Ordnung. Der Vorteil der temperierten Stimmung besteht darin, dass man nun jede beliebige Tonart spielen kann. Die Tonarten verlieren jedoch ihren individuellen Charakter und die Stimmung ist nicht ganz rein.

2) Das unlösbare Problem der Musik

Die Quint ist der reinste Zweiklang und lässt durch Übereinander-Schachteln den Tonraum entstehen. Wir beginnen mit C und gehen in Quinten weiter: C, G, D, A, E, H, Ges, Des, As, Es, B, F, C. Nach 12 Quinten sollten wir wieder am Ausgangston landen. Ist es wirklich so? (3/2)12 = 129,71≠128=27. Nach dem Übereinander-Schachteln von 12 Quinten landen wir nicht auf der siebten Oktav!

Die Aufteilung des Tonraums in 12 Halbtöne ist historisch gewachsen. Könnte man es besser machen? Können wir den Tonraum neu einteilen und mit Quinten alle Töne erreichen? Es müsste ganzzahlig gelten (3/2)n = 2m. Dies ist aber nicht möglich, da alle echten Potenzen von 3/2 echte Brüche sind, aber die Potenzen von 2 ganze Zahlen sind. Das Problem ist daher exakt niemals lösbar! Kann man es näherungsweise lösen? Wir logarithmieren unsere Ausgangsgleichung n·log(3/2) = m·log(2) und erhalten nun

n/m = log(2)/log(3/2) = 1.709511291... = γ

Wir müssen also eine möglichst einfache rationale Näherung dieser reellen Zahl γ finden. Solche Näherungen findet man mit dem Verfahren des Kettenbruchs.

γ = 1+0.709511291 =

= 1+1/(1+0.4094208404) =

= 1+1/(1+1/(2+0.442474592)) =

= 1+1/(1+1/(2+1/(2+0.2600167739))) =

= 1+1/(1+1/(2+1/(2+1/(3+0.845905727))));

Wir erhalten nun die Näherungen, indem wir jeweils den Restbruch vernachlässigen.

n0/m0 = 1/1;

n1/m1 = 1+1/1 = 2/1;

n2/m2 = 1+1/(1+1/2) = 5/3;

n3/m3 = 1+1/(1+1/(2+1/2)) = 12/7;

n4/m4 = 1+1/(1+1/(2+1/(2+1/3))) = 41/24;

n5/m5 = 1+1/(1+1/(2+1/(2+1/(3+1/1)))) = 53/31;

Die nullte Nährungen mit einem Ton und die erste Nähernug mit zwei Tönen sind trivial. Die zweite Näherung mit 5 Tönen und der Quint als 3. Ton ist die Pentatonik. Die dritte Näherung mit 12 Tönen und der Quint als 7.Halbton ist unser Tonsystem. Die vierte Näherung liefert eine Oktav mit 41 Tönen und der Quint als vierundzwanzigstem Ton. In der fünften Näherung besteht die Oktave aus 53 Tönen und die Quint ist der einundreisigste Ton. Die Systeme mit 41 Tönen und 53 Tönen wurden in China 40 v.Chr. von dem Gelehrten King-Fang gefunden, konnte sich jedoch niemals durchsetzen, da diese Systeme für Instrumente viel zu kompliziert sind. Praktikabel sind das System mit 5 Tönen (Pentatonik) und das System mit 12 Tönen (Dodekaphonie). Die Funde von Knochenflöten zeigen, dass die Pentatonik uralt ist. Die Oktav in 12 Halbtöne zu unterteilen, wurde praktisch in allen Kulturen parallel entwickelt und ist die heute übliche Weise zu musizieren. Die Kettenbruchzerlegung zeigt, dass dieses System tatsächlich ein bestmöglicher Kompromiss zwischen Exaktheit und Einfachkeit ist.

In der Praxis der Musik handelt es sich aber in der Regel nicht um Zweiklänge, sondern um mindestens Dreiklänge. Wer soll bei Modulationen korrigieren? Soll ein liegender Ton gleichbleiben und sich die Randstimmen ändern oder der liegende Ton zwischen den Randstimmen einen Kompromiss suchen? Die Randstimme hat nun ein doppelte Problem, soll sie sich an dem liegenden Ton oder an der anderen Randstimme orientieren? Passen überhaupt die Randstimmen relativ zum liegenden Tom zusammen? Sie passen in der Regel nicht zusammen und auch hier muss ein Kompromiss gefunden werden.